
Das Weinzierlhaus „Sandstöckl“: Ein historisches Juwel der Südoststeiermark
Ein lebendiges Zeugnis steirischer Weinbaukultur
Hoch über dem malerischen Ort Gnas in der Südoststeiermark thront das Weinzierlhaus „Sandstöckl“ – ein architektonisches Kleinod, das als letztes authentisches Haus seiner Art in der gesamten Region gilt. Dieses über 400 Jahre alte Gebäude erzählt die Geschichte des steirischen Weinbaus und bietet Besuchern einen faszinierenden Einblick in das Leben und Arbeiten vergangener Jahrhunderte. Nach einer aufwendigen Renovierung erstrahlt das historische Bauwerk heute in neuem Glanz und ist zu einem beliebten Ausflugsziel im Thermen- und Vulkanland Steiermark geworden.
Die Rettung eines kulturellen Erbes
Die Geschichte des Sandstöckls in seiner heutigen Form beginnt mit einer bemerkenswerten Rettungsaktion. Zwischen 2010 und 2017 wurde das damals bereits baufällige, 400 Jahre alte Weinzierlhaus in Ebersdorf bei Gnas sorgfältig abgetragen, fachkundig renoviert und in unmittelbarer Nähe seines ursprünglichen Standortes wieder aufgebaut. Diese aufwendige Translozierung erfolgte mit größter Sorgfalt, um die historische Substanz und den authentischen Charakter des Gebäudes zu bewahren.
Die Arbeitsgemeinschaft Sandstöckl, eine Gruppe engagierter Bürger unter der Leitung von Josef Niederl, setzte sich mit Leidenschaft für den Erhalt dieses einzigartigen Kulturgutes ein. Mit Unterstützung von Fachleuten aus den Bereichen Denkmalpflege, Architektur und traditionelles Handwerk gelang es, das Weinzierlhaus vor dem drohenden Verfall zu retten und für kommende Generationen zu bewahren.
Heute blickt das Sandstöckl von einer Anhöhe aus wieder weit ins Land und bietet Besuchern einen atemberaubenden Panoramablick über die hügelige Landschaft der Südoststeiermark. Die exponierte Lage, die einst aus praktischen Gründen gewählt wurde – der Weinzierl sollte die Weingärten gut überblicken können – macht das Gebäude heute zu einem beliebten Fotomotiv und Aussichtspunkt.
Was ist ein Weinzierlhaus? – Geschichte und Funktion
Um die Bedeutung des Sandstöckls vollständig zu erfassen, ist es wichtig, die historische Rolle des Weinzierls im steirischen Weinbau zu verstehen. Der Begriff „Weinzierl“ bezeichnet einen spezialisierten Weinbergarbeiter, der für seine Arbeit und sein Fachwissen vom jeweiligen Besitzer der Weingärten bezahlt wurde. Als Experte für den Weinbau war der Weinzierl verantwortlich für alle Arbeiten im Weingarten – vom Rebschnitt über die Pflege der Reben bis hin zur Ernte.
Da die Weingärten oft weit entfernt von den Ortschaften lagen und die tägliche An- und Abreise zu beschwerlich gewesen wäre, wohnte der Weinzierl meist direkt an seinem Arbeitsplatz im Weinberg – im nach seiner Tätigkeit benannten Weinzierlhaus. Diese einfachen, aber zweckmäßigen Gebäude dienten sowohl als Wohnstätte als auch als Arbeitsplatz und Lagerraum für Werkzeuge und Gerätschaften.
Der aktuelle Forschungsstand belegt ein Bestehen des Gnaser Weinzierlhauses in seiner heutigen Form mindestens seit 1667. Bemerkenswert ist, dass am Objekt in den vergangenen Jahrhunderten offenbar keinerlei wesentliche Veränderungen vorgenommen wurden. In seiner Gesamterscheinung entspricht es damit dem Stand von vor über 350 Jahren – ein authentisches Zeugnis historischer Baukultur, wie es in der Südoststeiermark kein zweites Mal zu finden ist. Ein vergleichbares Objekt existiert nur noch im Österreichischen Freilichtmuseum in Stübing bei Graz, das sogenannte Weingartenhaus.
Architektur und Bauweise – Ein Meisterwerk traditioneller Handwerkskunst
Das Sandstöckl beeindruckt durch seine einfache, aber durchdachte Architektur, die perfekt an die Bedürfnisse seiner ursprünglichen Bewohner angepasst war. Das kompakte, eingeschossige Gebäude mit seinem charakteristischen Satteldach ist ein hervorragendes Beispiel für die traditionelle Bauweise der Region.
Die Grundkonstruktion besteht aus massiven Holzbalken, die in Blockbauweise zusammengefügt wurden. Diese Technik, bei der horizontale Balken an den Ecken überkreuzt und verzapft werden, sorgt für eine stabile und langlebige Struktur. Die Wände wurden mit einer Mischung aus Lehm und Stroh verputzt, was nicht nur für eine gute Isolierung sorgte, sondern auch den typischen ockerfarbenen Anstrich ermöglichte, der das Gebäude heute noch prägt.
Das steile Dach, ursprünglich mit Stroh gedeckt, später mit handgefertigten Holzschindeln, bot Schutz vor den Witterungseinflüssen und schuf gleichzeitig zusätzlichen Stauraum im Dachboden. Die kleinen, tief in die dicken Wände eingelassenen Fenster minimieren den Wärmeverlust im Winter und halten die Innenräume im Sommer angenehm kühl.
Bei der Renovierung des Sandstöckls wurde großer Wert darauf gelegt, die ursprünglichen Baumaterialien und Handwerkstechniken zu verwenden. Wo immer möglich, wurden die originalen Bauteile erhalten und restauriert. Wo Ersatz notwendig war, kamen traditionelle Materialien und Methoden zum Einsatz. Diese authentische Restaurierung macht das Sandstöckl zu einem lebendigen Lehrbuch historischer Baukunst.
Einblick in das Leben eines Weinzierls – Die Innenausstattung
Das Innere des Weinzierlhauses ist ebenso beeindruckend wie das Äußere. Die Raumaufteilung folgt einem einfachen, aber funktionalen Konzept, das den Bedürfnissen des Weinzierls und seiner Familie entsprach. Der Hauptraum diente als Wohn-, Ess- und Schlafbereich zugleich. Ein offener Kamin, der sowohl zum Kochen als auch zum Heizen genutzt wurde, bildete das Zentrum des häuslichen Lebens.
Die Einrichtung ist spartanisch, aber zweckmäßig: Ein robuster Holztisch mit einfachen Bänken, eine Schlafstatt, die tagsüber als Sitzgelegenheit diente, und einige Truhen zur Aufbewahrung von Kleidung und persönlichen Gegenständen bildeten die Grundausstattung. Werkzeuge und Gerätschaften für die Arbeit im Weinberg wurden an den Wänden aufgehängt oder in einem separaten Bereich gelagert.
Bei der Restaurierung des Sandstöckls wurde auch die Inneneinrichtung sorgfältig rekonstruiert, basierend auf historischen Quellen und archäologischen Funden. Besucher können heute nachempfinden, wie bescheiden, aber durchaus funktional die Lebensbedingungen eines Weinzierls im 17. Jahrhundert waren.
Der Bienen-Schaugarten – Eine perfekte Ergänzung
Eine besondere Attraktion des Sandstöckls ist der umliegende Bienen-Schaugarten mit integriertem Lehrpfad. Diese moderne Ergänzung passt perfekt zum historischen Gebäude, denn die Imkerei war traditionell eng mit dem Weinbau verbunden. Viele Weinzierl hielten Bienen, um ihre Ernährung mit Honig zu ergänzen und zusätzliches Einkommen zu generieren.
Der Schaugarten bietet Besuchern die Möglichkeit, die faszinierende Welt der Bienen kennenzulernen. Informationstafeln erklären die Bedeutung der Bienen für das Ökosystem und die Landwirtschaft, die verschiedenen Bienenarten und die Grundlagen der Imkerei. Ein Bienenlehrpfad führt durch eine speziell angelegte Bepflanzung mit bienenfreundlichen Blumen, Kräutern und Sträuchern.
Ein besonderes Highlight ist das Schaubienenhaus, in dem Besucher durch Glasscheiben einen Einblick in das geschäftige Treiben eines Bienenvolkes erhalten können. Unter fachkundiger Anleitung können Interessierte mehr über die komplexe Sozialstruktur der Bienen, die Honigproduktion und die Bedeutung der Bestäubung für die Biodiversität erfahren.
Das Sandstöckl als Ausflugsziel – Praktische Informationen
Das Weinzierlhaus Sandstöckl ist von März bis November für Besucher geöffnet. In den Wintermonaten kann das Gebäude von außen besichtigt werden. Führungen sowie Besuche außerhalb der regulären Öffnungszeiten sind nach Voranmeldung möglich. Der Zugang erfolgt über Kleindörfl bei Ebersdorf, wo Wegweiser den Besuchern den Weg weisen.
Ein besonderer Service für Wanderer und Radfahrer: Das Sandstöckl ist ganzjährig als Raststation mit Getränken zur Selbstbedienung geöffnet. Nach einer anstrengenden Tour können Ausflügler hier eine erfrischende Pause einlegen und dabei den herrlichen Ausblick genießen.
Das Weinzierlhaus liegt direkt am Kaskögerlweg, einem der schönsten Wanderwege im Thermen- und Vulkanland Steiermark. Diese Lage macht es zum idealen Etappenziel für Wanderer und Naturliebhaber. Der moderate Anstieg zur Anhöhe wird mit einem atemberaubenden Panoramablick über die hügelige Landschaft der Südoststeiermark belohnt.
Für kleine Feierlichkeiten kann das Sandstöckl auch gemietet werden. Die einzigartige Atmosphäre des historischen Gebäudes und die idyllische Umgebung bieten einen außergewöhnlichen Rahmen für Familienfeiern, Firmenjubiläen oder andere besondere Anlässe.
Die Region Gnas – Weitere Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten
Die Marktgemeinde Gnas liegt im Herzen der Südoststeiermark, einer Region, die für ihre sanften Hügel, fruchtbaren Böden und das milde Klima bekannt ist. Diese Landschaft, oft als „Toskana Österreichs“ bezeichnet, bietet ideale Bedingungen für den Wein- und Obstbau und lockt mit ihrer malerischen Schönheit zahlreiche Besucher an.
Neben dem Sandstöckl gibt es in und um Gnas weitere Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Die Pfarrkirche St. Rupert, ein beeindruckender neugotischer Bau aus dem 19. Jahrhundert, dominiert das Ortsbild. Im Inneren beeindrucken wertvolle Kunstwerke und eine prächtige Orgel.
Das Schloss Poppendorf, nur wenige Kilometer von Gnas entfernt, ist ein weiteres historisches Juwel der Region. Das Renaissance-Schloss mit seinem charakteristischen Erscheinungsbild beherbergt heute ein Heimatmuseum und einen idyllischen Schlossgarten, der zum Verweilen einlädt.
Für Naturliebhaber bietet die Region ein gut ausgebautes Netz an Wander- und Radwegen. Der bereits erwähnte Kaskögerlweg ist nur einer von vielen malerischen Routen, die durch die hügelige Landschaft führen. Der Genussradweg R74 verbindet die schönsten Ausflugsziele der Region und führt auch am Sandstöckl vorbei.
Kulinarisch hat die Südoststeiermark ebenfalls viel zu bieten. Zahlreiche Buschenschänken laden zur Verkostung regionaler Spezialitäten ein. Der Vulkanland-Schinken, das Kürbiskernöl und natürlich die hervorragenden Weine der Region sind nur einige der Köstlichkeiten, die es zu entdecken gilt.
Die Bedeutung des Sandstöckls für das kulturelle Erbe
Das Weinzierlhaus Sandstöckl ist weit mehr als nur ein historisches Gebäude – es ist ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes der Steiermark und ein lebendiges Zeugnis der Weinbautradition der Region. Als letztes authentisches Weinzierlhaus der Südoststeiermark kommt ihm eine besondere Bedeutung für die Bewahrung und Vermittlung historischer Lebens- und Arbeitsbedingungen zu.
Die aufwendige Restaurierung und Wiedererrichtung des Gebäudes zeigt exemplarisch, wie historische Bausubstanz erhalten und gleichzeitig für moderne Nutzungen zugänglich gemacht werden kann. Das Projekt Sandstöckl ist ein Musterbeispiel für gelungenen Denkmalschutz und hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
Durch die Kombination von historischem Gebäude und modernem Bienen-Schaugarten schlägt das Sandstöckl eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es vermittelt nicht nur Wissen über historische Lebensweisen, sondern sensibilisiert auch für aktuelle ökologische Themen wie Biodiversität und Bienenschutz.
Fazit: Ein Besuch, der sich lohnt
Das Weinzierlhaus Sandstöckl in Gnas ist ein faszinierendes Zeugnis steirischer Geschichte und Kultur. Der Besuch dieses einzigartigen Baudenkmals bietet nicht nur Einblicke in vergangene Lebens- und Arbeitswelten, sondern auch ein beeindruckendes Naturerlebnis mit herrlichen Ausblicken über die südoststeirische Hügellandschaft.
Die Kombination aus historischem Gebäude, informativem Bienen-Schaugarten und idyllischer Lage macht das Sandstöckl zu einem lohnenswerten Ausflugsziel für Familien, Kulturinteressierte und Naturliebhaber gleichermaßen. Die Möglichkeit, nach einer Wanderung auf dem Kaskögerlweg eine erfrischende Rast einzulegen und dabei den Panoramablick zu genießen, rundet das Erlebnis perfekt ab.
Wer die Südoststeiermark besucht, sollte sich dieses historische Kleinod nicht entgehen lassen. Das Weinzierlhaus Sandstöckl – ein Stück lebendige Geschichte inmitten einer der schönsten Kulturlandschaften Österreichs.