KZ-Außenlager Peggau: Ein vergessenes Kapitel steirischer Geschichte

Die idyllische Gemeinde Peggau, etwa 20 Kilometer nördlich von Graz gelegen, ist vielen Besuchern vor allem als Eingang zur beeindruckenden Lurgrotte bekannt. Doch hinter der malerischen Kulisse verbirgt sich ein dunkles Kapitel der österreichischen Geschichte: das KZ-Außenlager Peggau, eine Außenstelle des Konzentrationslagers Mauthausen, das zwischen 1944 und 1945 existierte und fast 100 Menschen das Leben kostete.
Die historische Bedeutung des Außenlagers
Das KZ-Außenlager Peggau wurde im Spätsommer 1944 errichtet, als das NS-Regime verzweifelt versuchte, die Rüstungsproduktion vor alliierten Luftangriffen zu schützen. Die natürlichen Höhlensysteme rund um Peggau boten ideale Voraussetzungen für unterirdische Produktionsstätten. Unter dem Tarnnamen „Projekt Marmor“ sollten hier Flugzeug- und Panzerteile für die deutsche Kriegsmaschinerie hergestellt werden.
Die ersten Häftlinge trafen im September 1944 ein. Es handelte sich hauptsächlich um politische Gefangene, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion und Polen. Unter unmenschlichen Bedingungen mussten sie Stollen in den Kalkstein treiben und die Infrastruktur für die geplanten Produktionsanlagen errichten.
Lebens- und Arbeitsbedingungen
Die Häftlinge waren in einfachen Baracken auf einer Lichtung im Ortsteil Hinterberg untergebracht. Die tägliche Realität war geprägt von:
- Schwerer körperlicher Arbeit bis zu 12 Stunden täglich
- Unzureichender Ernährung und mangelhafter medizinischer Versorgung
- Brutaler Behandlung durch die SS-Wachmannschaften
- Katastrophalen hygienischen Zuständen
Diese Bedingungen im KZ-Außenlager Peggau führten zu einer hohen Sterblichkeitsrate. Insgesamt fanden 98 Häftlinge in Peggau den Tod – durch Erschöpfung, Krankheit, Unterernährung oder direkte Gewalteinwirkung. Die meisten Opfer wurden in Massengräbern in der unmittelbaren Umgebung verscharrt.
Verbindung zum Todesmarsch ungarischer Juden
Eine besonders tragische Episode in der Geschichte des Lagers war seine Rolle als Zwischenstation beim Todesmarsch ungarischer Juden im April 1945. Als die Ostfront näher rückte, wurden tausende jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn in Richtung Mauthausen getrieben. Viele dieser völlig entkräfteten Menschen starben unterwegs oder wurden ermordet, besonders am berüchtigten Präbichl-Pass, wo es zu einem Massaker kam.
Die Befreiung und das Kriegsende
Mit dem Näherrücken der alliierten Truppen im Frühjahr 1945 wurde das KZ-Außenlager Peggau überstürzt aufgelöst. Die verbliebenen Häftlinge wurden entweder auf Todesmärsche geschickt oder in andere Lager verlegt. Die geplante unterirdische Rüstungsproduktion kam nie vollständig zum Laufen – ein Umstand, der vermutlich noch mehr Leid verhindert hat.
Die Gedenkstätte heute
Heute erinnert eine schlichte Gedenkstätte an der Mittereggstraße an die Opfer des KZ-Außenlager Peggau. Informationstafeln dokumentieren die Geschichte des Ortes und die Schicksale der Häftlinge. Die unscheinbare Lichtung, auf der einst die Baracken standen, steht in starkem Kontrast zu den Gräueln, die sich hier zugetragen haben.
Die Gedenkstätte ist ein wichtiger Ort der Erinnerung und Mahnung. Sie verdeutlicht, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht nur in den großen, bekannten Konzentrationslagern stattfanden, sondern bis in kleine Gemeinden wie Peggau reichten.
Archäologische Untersuchungen und neue Erkenntnisse
In den letzten Jahren haben archäologische Grabungen und historische Forschungen neue Erkenntnisse über das Lager zutage gefördert. Dabei wurden Fundamente der Baracken, persönliche Gegenstände der Häftlinge und weitere Hinweise auf den Lageralltag entdeckt. Diese Funde helfen, die Geschichte des Lagers detaillierter zu rekonstruieren und das Schicksal der Opfer zu dokumentieren.
Das Höhlensystem als industrielles Erbe
Die für die Rüstungsproduktion vorbereiteten Stollen im Höhlensystem von Peggau stellen heute ein besonderes industriegeschichtliches Erbe dar. Teile der unterirdischen Anlagen sind noch erhalten und zeugen von der verzweifelten Verlagerung der deutschen Kriegsindustrie unter Tage in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs.
Peggau im Kontext des KZ-Systems
Das Außenlager Peggau war Teil eines weitverzweigten Systems von Haupt- und Nebenlagern, mit dem die Nationalsozialisten Zwangsarbeit organisierten. Allein zum KZ Mauthausen gehörten über 40 Außenlager, verteilt über Österreich und Süddeutschland. Diese dezentrale Struktur ermöglichte es, Häftlinge direkt an den Orten einzusetzen, wo ihre Arbeitskraft benötigt wurde – sei es in Steinbrüchen, Rüstungsbetrieben oder beim Stollenbau wie in Peggau.
Erinnerungskultur und Bildungsarbeit
Die Gemeinde Peggau hat in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Schritte unternommen, um die Erinnerung an die Opfer des Lagers wachzuhalten. Regelmäßige Gedenkveranstaltungen, Bildungsprojekte mit Schulen und die Zusammenarbeit mit Historikern tragen dazu bei, dass dieses dunkle Kapitel nicht in Vergessenheit gerät.
Besonders wertvoll sind die Zeitzeugengespräche, die in den vergangenen Jahrzehnten mit Überlebenden geführt und dokumentiert wurden. Sie geben den Opfern eine Stimme und vermitteln nachfolgenden Generationen ein authentisches Bild der Geschehnisse.
Besuch der Gedenkstätte
Wer die Gedenkstätte besuchen möchte, findet sie an der Mittereggstraße, die auch zur Burgruine Peggau führt. Der Ort ist frei zugänglich und kann jederzeit besichtigt werden. Die Informationstafeln bieten einen guten Überblick über die Geschichte des Lagers und seiner Opfer.
Ein Besuch lässt sich gut mit einer Erkundung der anderen Sehenswürdigkeiten Peggaus verbinden:
- Die beeindruckende Lurgrotte, Österreichs größte Tropfsteinhöhle
- Die malerische Burgruine Peggau mit herrlichem Ausblick
- Der versteckte Wasserfall im Kesselfall-Klamm
- Die zahlreichen weiteren Höhlen im Umkreis
Fazit: Erinnern für die Zukunft
Das KZ-Außenlager Peggau mag nur eine kleine Episode in der Geschichte des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs darstellen, doch es steht exemplarisch für die systematische Ausbeutung und Vernichtung von Menschen durch das NS-Regime. Die Gedenkstätte erfüllt eine wichtige Funktion: Sie hält die Erinnerung wach und mahnt uns, wachsam zu bleiben gegenüber Intoleranz, Hass und Unmenschlichkeit.
In einer Zeit, in der rechtsextreme Strömungen wieder erstarken und historische Fakten zunehmend in Frage gestellt werden, ist die Auseinandersetzung mit Orten wie dem KZ-Außenlager Peggau wichtiger denn je. Sie erinnert uns daran, wohin Ausgrenzung und Entmenschlichung führen können, und verpflichtet uns, für eine offene, tolerante Gesellschaft einzutreten.
Die unscheinbare Lichtung im Wald von Peggau ist somit nicht nur ein Ort der Trauer, sondern auch ein Ort der Mahnung und des Lernens für gegenwärtige und zukünftige Generationen.