Stilles Mahnmal einer dunklen Vergangenheit

In der idyllischen Landschaft der Südsteiermark, südlich von Wagna, steht ein unscheinbares Gebäude, das als letzter Zeuge einer tragischen Epoche der österreichischen Geschichte dient. Das Wächterhaus in Aflenz, einst Teil eines Außenlagers des Konzentrationslagers Mauthausen, erzählt die Geschichte von Zwangsarbeit, Leid und Tod während der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs.
Die Geschichte des KZ-Außenlagers Aflenz
Das KZ-Außenlager Aflenz, auch als „Graz-Leibnitz“ bekannt, wurde Ende 1944 errichtet und gehörte zu den über 40 Außenlagern des Konzentrationslagers Mauthausen. In unmittelbarer Nähe zur Sulm gelegen, diente es als Unterkunft für Zwangsarbeiter, die vorwiegend aus der Sowjetunion und Polen stammten. Diese Häftlinge wurden für ein ehrgeiziges Projekt der NS-Kriegswirtschaft eingesetzt: den Umbau des nahegelegenen Römersteinbruchs zu einer unterirdischen Rüstungsfabrik für die Steyr-Daimler-Puch AG aus Graz-Thondorf.
Der Muschelkalksteinbruch, der bereits zur Römerzeit genutzt wurde, bot ideale Voraussetzungen für die Verlagerung der Rüstungsproduktion unter Tage – ein verzweifelter Versuch des NS-Regimes, die kriegswichtige Produktion vor alliierten Luftangriffen zu schützen. Doch bevor die unterirdischen Produktionshallen genutzt werden konnten, musste der Steinbruch erheblich erweitert werden.
Unmenschliche Arbeitsbedingungen und Leid
Rund 2.000 Häftlinge, darunter auch Gefangene aus dem Außenlager Peggau, wurden für diese Arbeiten herangezogen. Unter unmenschlichen Bedingungen schufteten sie in 12-Stunden-Schichten bei völlig unzureichender Ernährung. Die körperlich anstrengende Arbeit, kombiniert mit Mangelernährung, katastrophalen hygienischen Zuständen und brutaler Behandlung durch die Wachmannschaften, forderte zahlreiche Opfer.
In der kurzen Zeit des Bestehens des Lagers – weniger als ein Jahr – wurden 78 Todesfälle offiziell dokumentiert. Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch höher liegen. Viele der Verstorbenen wurden in einem Massengrab nur wenige hundert Meter vom Lager entfernt verscharrt. Dieses Grab wurde erst Jahrzehnte später wiederentdeckt, ein erschütterndes Zeugnis der Gräueltaten, die hier stattfanden.
Das Ende des Lagers und der Todesmarsch
Anfang April 1945, als die alliierten Truppen immer näher rückten, wurde das Lager Aflenz aufgelöst. Die verbliebenen 467 Häftlinge wurden auf einen langen Marsch zum KZ Ebensee getrieben – einen der berüchtigten „Todesmärsche“ der letzten Kriegsphase. Die Strapazen dieses Marsches überlebten nicht alle: Nur 407 Häftlinge erreichten das Ziel. 60 Menschen starben unterwegs an Erschöpfung oder wurden von den Wachmannschaften ermordet.
Das Wächterhaus als letzter Zeuge
Von den ursprünglichen Baracken des Lagers ist heute nichts mehr zu sehen. Einzig das gemauerte Wächterhaus in Aflenz an der Aflenzer Straße steht noch als stummer Zeuge dieser dunklen Vergangenheit. Das lange Zeit verfallene Gebäude wurde im Rahmen einer Kunstaktion revitalisiert und mit Informationstafeln ausgestattet, die Besuchern die Geschichte des Ortes näherbringen.
Eine besondere Initiative zur Erinnerungskultur stellt die kleine Infobox neben dem Gebäude dar. Hier können Besucher kostenlos ein Informationsbüchlein in vier Sprachen entnehmen. Diese Broschüre enthält nicht nur Texte und historische Fotos zum Lager, sondern auch wertvolle Zeitzeugeninterviews, die einen persönlichen Einblick in das Grauen vermitteln, das sich an diesem heute so friedlich wirkenden Ort abgespielt hat.
Die Region Aflenz und ihre Geschichte
Die Gemeinde Aflenz liegt in der südlichen Steiermark, einer Region, die für ihre malerischen Weinberge, kulinarischen Spezialitäten und gastfreundlichen Menschen bekannt ist. Doch wie das Wächterhaus zeigt, birgt auch diese idyllische Landschaft dunkle Kapitel der Geschichte.
Der Römersteinbruch, der für die Zwangsarbeiter zum Ort des Leids wurde, hat eine jahrtausendealte Geschichte. Bereits zur Römerzeit wurde hier Muschelkalkstein abgebaut, der für zahlreiche Bauten in der Region verwendet wurde. Die geologischen Besonderheiten, die den Steinbruch für die Römer wertvoll machten, führten ironischerweise Jahrtausende später zu seiner Nutzung für die NS-Kriegsmaschinerie.
Die Südsteiermark war während des Zweiten Weltkriegs von strategischer Bedeutung. Die Nähe zur jugoslawischen Grenze, wichtige Industriestandorte wie die Steyr-Daimler-Puch-Werke in Graz und die relative Sicherheit vor alliierten Luftangriffen in der späten Kriegsphase machten die Region zu einem Zentrum der Rüstungsproduktion.
Erinnerungskultur und Aufarbeitung
Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Steiermark begann erst spät. Lange Zeit wurden die Geschehnisse in Aflenz und anderen Außenlagern kaum thematisiert. Erst in den 1980er Jahren setzte eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der regionalen Geschichte ein.
Heute ist das Wächterhaus in Aflenz Teil einer breiteren Erinnerungskultur in der Steiermark. Gemeinsam mit anderen Gedenkstätten wie dem KZ-Außenlager Peggau oder der Gedenkstätte Präbichl bildet es ein Netzwerk von Orten, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern und zur Reflexion über die Vergangenheit anregen.
Besuch des Wächterhauses
Das Wächterhaus in Aflenz ist frei zugänglich und kann jederzeit besichtigt werden. Die Informationstafeln am Gebäude und das kostenlose Informationsbüchlein bieten einen guten Einstieg in die Geschichte des Ortes. Für Besucher, die sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen möchten, empfiehlt sich die Kombination mit anderen Gedenkstätten in der Region.
Die Anreise ist sowohl mit dem Auto als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Das Wächterhaus liegt direkt an der Aflenzer Straße und ist gut zu finden. In der näheren Umgebung gibt es zahlreiche weitere Sehenswürdigkeiten, die einen Besuch lohnen, darunter:
- Die historische Altstadt von Leibnitz
- Das Schloss Seggau mit seiner beeindruckenden Weinkellerei
- Die römische Stadt Flavia Solva
- Die malerischen Weinstraßen der Südsteiermark
Die Bedeutung für heute
Das Wächterhaus in Aflenz ist mehr als nur ein historisches Relikt. Es ist ein Ort des Gedenkens und der Mahnung, der uns daran erinnert, wozu Menschen fähig sind, wenn Hass und Intoleranz die Oberhand gewinnen. In einer Zeit, in der rechtsextreme Strömungen wieder erstarken und historische Fakten zunehmend in Frage gestellt werden, sind Orte wie das Wächterhaus wichtiger denn je.
Die Geschichte des KZ-Außenlagers Aflenz zeigt, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht nur in den großen, bekannten Konzentrationslagern stattfanden, sondern bis in kleine Gemeinden wie Aflenz reichten. Sie verdeutlicht die systematische Ausbeutung von Menschen durch das NS-Regime und die Verstrickung der Wirtschaft in dieses System.
Ein Ort der Erinnerung in idyllischer Landschaft
Das Wächterhaus in Aflenz steht im starken Kontrast zur idyllischen Landschaft der Südsteiermark. Während die Region heute für ihre Weinberge, kulinarischen Genüsse und Gastfreundschaft bekannt ist, erinnert das unscheinbare Gebäude an der Aflenzer Straße an eine Zeit, in der Zwangsarbeit, Leid und Tod den Alltag bestimmten.
Der Besuch des Wächterhauses ermöglicht es, diese Diskrepanz zu erleben und über die verschiedenen Schichten der Geschichte nachzudenken, die sich an diesem Ort überlagern. Er lädt dazu ein, hinter die idyllische Fassade zu blicken und sich mit den dunkleren Kapiteln der regionalen Geschichte auseinanderzusetzen.
In seiner Schlichtheit ist das Wächterhaus ein eindrucksvolles Mahnmal, das uns auffordert, wachsam zu bleiben und für eine Gesellschaft einzutreten, in der die Würde jedes Menschen geachtet wird. Es erinnert uns daran, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind, sondern Werte, für die wir uns täglich einsetzen müssen.
Das Wächterhaus in Aflenz – letzter Zeuge eines KZ-Außenlagers in der Südsteiermark, wo 2000 Häftlinge für die NS-Rüstungsindustrie schufteten.